Mir ist gestern Abend mal aufgefallen, welche Parallelen es gibt zwischen der Gentrifizierung der sogenannten Szenevierteln in Großstädten und der Entwicklung die einige oder sogar die meisten beliebten Onlinedienste durchlaufen.
Ausgangsposition ist in beiden Fällen das Vorhandensein eines gewissen kreativen Grundstocks von Bewohnern bzw. Nutzern. Die Umgebung, ob real oder virtuell, bietet einen Mehrwert für eine kreative, vernetzte Menschen und einen Reiz, die Infrastruktur zu nutzen.
Die Nutzergruppe ist relativ klein und es gibt große Schnittmengen bezüglich Idealen und vertretenem Weltbild. Dadurch wird der Zusammenhalt gestärkt, man sieht sich gerne als zusammenhängende „Einheit“ von Individualisten.
Durch kreativen Output wächst das Interesse anderer Gruppen an dem Wohnviertel oder eben an dem Onlineangebot. Durch Mundpropaganda wird irgendwann der „Geheimtipp für Eingeweihte“ zum Allgemeinwissen und man „weiß“ einfach irgendwann, in welchem Viertel man wohnen muss bzw. bei welchem Dienst man sich anmelden muss, um „dabei zu sein“ und es kommt zu einem sprunghaften Anstieg von Zugezogenen bzw. neuen Usern.
Natürlich hat dieser sprunghafte Zuwachs zur Folge, dass die grobe „Schnittmenge“ der Interessen aller quasi verwässert wird. Wo sehr viele Menschen aus verschiedenen sozialen, gesellschaftlichen und beruflichen Schichten zusammenkommen, schrumpft der gemeinsame Nenner, aber es bietet mehr Grundlage für Bildung von „Splittergruppen“.
All das das führt aber im Endeffekt dazu, dass die „Early Adopter“ ihren „Lebensraum“ gefährdet sehen. Die heimelige Sicherheit, sich unter Gleichgesinnten zu befinden, schwindet und man fühlt sich von den ganzen „Neuen“ mit ihren fremden Ansichten und Lebenskonzepten aus „seinem“ Zuhause verdrängt.
Das passiert spätestens, wenn der Dienst oder das Viertel endgültig im Mainstream angekommen ist.
Wo sich in Berlin Wohnungen und Häusern in angesagten Vierteln von Lebensraum zu Spekulationsobjekten von Maklern und Wochenendresidenzen von Reichen wandeln, greift in angesagten Onlinediensten die Marketing- und Monetarisierungsoffensive.
In beiden Fällen auch verständlich. Sowohl der Hausbesitzer als auch der Entwickler der Software sieht natürlich den Erfolgt und möchte gerne etwas vom Kuchen abhaben.
Die leidtragenden dieser Entwicklung sind aber jeweils diejenigen, die durch ihr Engagement und ihren kreativen Output zum Erfolg jeweils maßgeblich beigetragen haben.
Aber so wie in den Szenevierteln der Republik, wandern die Early Adopter aus den für sie entfremdeten Diensten ab und sie suchen sich eine neue digitale Spielwiese.
Daher entspringt meiner Meinung nach auch der Drang des Early Adopters zum „Accountsammeln“. Jeder neue Dienst und Service wird erstmal angetestet, in der Hoffnung dass er zum einen erfolgreich genug wird, um einen harten Kern von Kreativen und Gleichgesinnten anzuziehen, in dem man sich wieder „wohlfühlen“ kann und zum anderen dass er nicht so erfolgreich wird, dass er direkt wieder im Mainstream landet und sich die Entwicklung wiederholt.
Im Endeffekt sind wir, die wir über die Kommerzialisierung von Twitter, Instagram und co schimpfen, immer auf der Suche nach einer Alternative, die nicht irgendwann von Bullshit überrant wird.